Ich fahre zwischen Butterblumen und hohem Gras entlang, dem Siebengebirge und der Sonne entgegen. Der warme Sommerwind weht mir durchs Haar und ich lenke mein Fahrrad in Richtung Rheinufer. Ein junges Pärchen liegt von mir auf einer Picknickdecke und liest. Ich muss schmunzeln, denn ihr Buch habe ich auch gerade erst ausgelesen. Wie es ihr wohl gefällt? Ein Stückchen weiter sitzt eine Familie am Strand und spielt Karten. Die Kinder lachen fröhlich und ich merke, wie meine Mundwinkel automatisch nach oben zucken. Ich liebe es, die Menschen zu beobachten und für einen kurzen Moment in ihre Welt einzutauchen. Immer nur einen Augenblick, bis ich schon wieder ein paar Meter weitergefahren bin. Je näher mich der Weg ans Rheinufer führt, desto stärker zieht mir der Geruch vom Grill in die Nase, gemischt mit dem von nassem Sand und Muscheln. Genau so riecht der Sommer. Inzwischen ist mir ziemlich warm geworden und ich steuere langsam eine schöne Bank im Schatten an. Zeit für eine kleine Pause. Ich stelle mein Fahrrad neben mir ab und schaue auf den Rhein. Ist das toll hier. Genau das richtige Wetter, genau die richtige Bank und genau der richtige Ausblick. Und so wird dieser kleine Moment irgendwie doch zu einem Großen, in dem ich ganz tief fühle: Mein Leben ist schön, so wie es ist. Dieser Ausflug, der fühlt sich frei und unbeschwert an, gerade weil alles daran so normal und unaufgeregt ist. Ich habe Zeit und muss gerade nirgendwo sein, außer ganz hier bei mir. All das hat eine Beschaulichkeit an sich, die mich zur Ruhe kommen lässt. Weil ich spüre, dass ich gar nicht mehr brauche, um glücklich zu sein. Das ist das richtige Leben und genau hier will ich sein. Eigentlich.
„Nur mal kurz gucken“
Es ist fast so, als hätte mein Handy gespürt, wie weit ich mich während meiner Fahrradtour von ihm entfernt habe, denn genau in diesem Moment gibt meine Tasche ein leises Vibrieren von sich. Ich nehme mein Handy heraus, um es auszuschalten – ich will ja schließlich die Zeit für mich genießen. Als ich mein Handy entsperre, öffnet sich allerdings automatisch Instagram, weil ich zuletzt in der App unterwegs war. Ich bin genervt und will sie sofort wieder schließen, weil ich weiß, dass mir das nicht gut tun wird. Doch noch bevor ich dazu komme, habe ich aus dem Augenwinkel schon den Post meiner alten Arbeitskollegin gesehen. Anscheinend ist sie gerade mit ihren Freundinnen in einem Biergarten und genießt die Sonne. Ihre Freundin auf der linken Seite kenne ich tatsächlich auch, was für ein Zufall. Das interessiert mich jetzt dann doch. Und so finden meine Finger ihren Weg in der App von ganz alleine, als wäre das gar nicht ich, die das gerade steuert. Ich tauche ein in die Welt in meinem Handy und scrolle mich in die Leben der verschiedensten Menschen. Weiter unten sehe ich meine Bekannte, die einen großen Karrieresprung geschafft hat und sich dafür feiern lässt. Und dann ist da noch der beliebte Typ aus der Unizeit, der scheinbar mit seinem großen Freundeskreis in einem Ferienhaus in der Toskana ist. Na toll, und ich sitze hier ganz alleine. Ich merke, wie sich mit jedem weiteren Foto meine Laune verschlechtert. Hätte ich nicht auch noch eine Freundin bei meiner Radtour mitnehmen sollen? Dann könnten wir jetzt schön zusammen hier sitzen. Wobei eigentlich ging es mir ja genau darum, die Tour alleine zu machen?! Ich wollte zur Ruhe kommen und mich mit mir selbst zu verbinden. Was ja auch geklappt – bis gerade eben. Doch mit einem Mal fange ich an Dinge zu vermissen, die mir eigentlich gar nicht fehlen. Und so frage ich mich, warum ich mir das gerade eigentlich wieder selbst angetan habe.
Die Macht der Möglichkeiten
Als ich an den Menschen am Rheinufer vorbeigefahren bin, habe ich sie und ihren Sommertag gerne beobachtet – warum also bringen mich ein paar Posts auf Instagram dann so schnell ins Wanken? Ist das nicht eigentlich das Gleiche? Nein, das ist es definitiv nicht. Hier am Rhein kann ich das, was um mich herum passiert, „greifen“. Es ist immer nur ein kleiner Ausschnitt, mit einer begrenzten Anzahl von Eindrücken. Portioniert irgendwie. Ich kann die Menschen wirklich sehen, hören und wahrnehmen, mit allem was sie ausmacht. Und dabei spüre ich nicht nur sie, sondern vor allem auch mich selbst. Auf Instagram aber ist es, als hätte ich die ganze Welt auf einmal in meiner Tasche. Ich sehe all das, was eben nicht hier bei mir passiert, sondern genau da, wo ich gerade nicht bin. Und ich schaue nur durch eine kleine Glasscheibe von ganz weit weg zu. So wird mir durch die Posts jedes Mal bewusst, wie viele andere Erlebnisse, Bekanntschaften und Abenteuer direkt um die Ecke warten. Es ist, als würde ich ständig spüren, wie viele Möglichkeiten es gibt und wie viele von ihnen ich damit eben auch verpasse. Ganz nach dem Motto: Wie kann mir das hier nur reichen, wenn mir doch so viel mehr offensteht? Und mir diese Frage jedes Mal aufs Neue wieder selbst beantworten zu müssen, ist mit der Zeit einfach anstrengend. Darum fällt es mir oft schwer, die richtige Balance zwischen den beiden Welten zu finden. Ich mag es einerseits, auf Instagram kreativ zu sein, meine Texte zu teilen und mich von anderen inspirieren zu lassen. Nur möchte ich mich andererseits auch nicht mehr so von dem Sog der App mitziehen lassen und mich so schnell von mir selbst entfernen. Genau deshalb zeigen mir Momente wie dieser, dass ich mir meine Welt bewusst kleiner machen darf. Dass ich nicht immer alles mitbekommen will und vor allem nicht muss. Denn Instagram kann zwar Vieles sein, aber das, was ich im Hier und Jetzt erlebe, das kann die App eben nie ersetzen. Und mit diesem Gedanken packe ich mein Handy wieder entschlossen in die Tasche: Das war erst mal genug für heute, jetzt will ich endlich wieder den Fahrtwind in meinem Haar spüren. Also geht es für mich weiter in Richtung Siebengebirge und damit wieder ein ganzes Stück näher zu mir selbst.