Das Ende des Sommers

Ich bin ein Kind des Spätsommers – und das hat mir in meiner Kindheit so gar nicht gefallen. Damals hätte ich viel lieber im Juni oder im Juli Geburtstag gehabt, denn das war für mich „der richtige Sommer“. Ende August hat sich zwar noch nicht nach Herbst, aber auch nicht mehr nach dieser Leichtigkeit angefühlt, die ich so gerne hatte. Das war ein Dazwischen, mit dem ich nicht wirklich etwas anfangen könnte. Doch je älter ich wurde, desto mehr konnte ich diese Zeit auch von ihrer anderen Seite kennenlernen und habe immer mehr gespürt: Auch wenn ich es früher nie gedacht hätte, der Spätsommer fühlt sich irgendwie nach mir an. Und deshalb hat mir die Idee gefallen, mir und meiner Jahreszeit einen eigenen, kleinen Geburtstagsbeitrag zu schreiben. Im letzten Jahr habe ich schließlich schon einen Liebesbrief an den Sommer geschrieben, dann ist der Spätsommer jetzt aber definitiv auch mal dran, denn er hat mindestens genauso viel zu bieten.

Der Spätsommer ist nicht mehr der aktive Sommer, der mit Tagen im Freibad und Eis essen und kalten Getränken am Abend. Der Spätsommer ist der ruhige Sommer. Der mit Kornfeldern, die im warmen Abendlicht scheinen und sanft hin und her wippen. Mit dem leichten Wind, der durch das hohe Gras weht, dass es manchmal so unfassbar weich aussieht. Fast wie ein riesiges Fell, das ich am liebsten streicheln würde. Mit Grillen, die im Hintergrund zirpen und Heuballen, die überall auf den Feldern liegen. Ich weiß auch nicht, wie sie das machen, aber irgendwie strahlen sie so eine tiefe Ruhe aus. Das hat so etwas von „hier ist die Welt noch in Ordnung“. Etwas Idyllisches und Geborgenes. Das ist wie ein ganz tiefes Aufatmen, wie ein nach Hause kommen, nachdem man den ganzen Tag unterwegs war.

Der Spätsommer ist schon ein bisschen gedeckter, als der grelle Sommer. Er hat das bunte Treiben gegen warme und intensive Farben eingetauscht, die schon fast Gold schimmern. Dann lassen die Sonnenblumen ihre Schatten im Abendlicht tanzen und sehen dabei so stolz und zufrieden aus, dass ich mir jedes Mal denke: Davon könnte mir ruhig eine Scheibe abschneiden. Ein paar Hummeln drehen ihre letzten Runden des Tages und sind dabei so langsam und gemächlich, dass ich alleine vom Zuschauen ganz ruhig werde. Die Maisfelder recken sich inzwischen so hoch, dass es mir ab und an fast schon ein bisschen frisch wird, wenn ich zwischen ihnen entlanglaufe. Und auch die duftenden Pflaumen- und Apfelbäume am Wegesrand rufen von überall: „Wir wären dann bald so weit“.

Der Spätsommer hat schon eine gewisse Schwere an sich, die aber noch nicht erdrückend ist, so wie der Winter es manchmal ist. Es ist, als würde man sich am Abend eine leichte Strickjacke über die Schultern legen, weil es doch schon ein bisschen kälter ist, als noch in den Wochen zuvor. Vielleicht bringt diese Zeit auch genau deshalb eine Art von Wehmut mit sich, weil ich schon fühlen kann, dass bald ein Abschied naht. Alles um mich herum ist gerade so schön, dass ich es am liebsten für immer festhalten würde. Denn wenn ich mich erst mal richtig auf diese Zeit einlasse, macht sie es einem so leicht, sie zu mögen. Aber ich spüre gleichzeitig auch, dass die Natur langsam müde wird von all dem Blühen und Strahlen der letzten Monate. Doch wenn ich ehrlich mit mir bin, weiß ich, dass es auch mir so gehen wird. Ich brauche meine Jahreszeiten, genauso wie die Natur, selbst wenn ich das nicht immer wahrhaben will. Und als würde der Spätsommer genau das wissen, sagt er mir mit all seiner Ruhe und Sanftheit ganz leise: „Du hast Recht, es ist ein Abschied. Aber ich komme wieder. Versprochen. Und bis dahin darfst du mich einfach nur genießen“.

Titelbild: Jana Rodenbusch