In der Ruhe liegt die Kraft.
Sprichwort
Wenn es etwas gibt, das die meisten Menschen wahnsinnig einschüchtert, dann ist es definitiv die Stille. Sie hat eine so große Macht, die auf den ersten Blick oft Angst auslösen kann und vor der auch ich gerne mal flüchte. Dann lasse ich mir lieber von meinem Handy eine Hintergrundmelodie, oder einen Podcast spielen, die mich nicht mit meiner inneren Stimme alleine lassen. Sei es auf dem Weg zum Bus, oder wenn ich abends alleine auf dem Sofa sitze. Und das hilft mir oft zeitweise, nur nach einer Weile merke ich eben doch immer wieder: Irgendwas fehlt so einfach. Das ist nicht das, was ich wirklich brauche. „Das was du suchst, kannst du nicht in der Lautstärke finden. Das findest du nur in der Stille“ sagt dann ein Teil von mir. Denn obwohl sie auf den ersten Blick so beängstigend wirken kann, hat sie gleichzeitig auch etwas so Anziehendes an sich, von dem ich ganz instinktiv weiß, dass es heilsam für mich ist. Und nicht nur das, sie hat sogar etwas, nach dem sich ein Teil von mir ganz stark sehnt. Das beste Beispiel dafür ist die Tatsache, wie oft ich alleine in den letzten Jahren schon gedacht habe, dass ich doch mal ein Wochenende im Schweigekloster verbringen, den Jakobsweg gehen, oder Urlaub in einer Berghütte ohne Internet machen sollte. All das scheint mir dann DIE Lösung zu sein, um wieder bei mir anzukommen und alles zu sortieren. Ich muss bei diesem Gefühl immer an einen kalten, klaren Bergsee denken. So einen, wie ich ihn bestimmt in der Nähe meiner kleinen, abgeschiedenen Berghütte haben würde. Das Wasser ist ganz rein und man sieht jedes Steinchen auf dem Grund. Am Rande des Sees fließt ein kleines Rinnsal vom Berg hinunter in den See. Ganz gemächlich und auf eine beruhigende Art und Weise. Es weht ein leichter Wind, der das grüne Gras um den See herum leicht tanzen lässt. Und genau diese Klarheit der Natur gibt mir ein Gefühl von Leichtigkeit in mir drinnen. Ich kann auf einmal wieder ganz tief atmen, denn nicht nur der See steht still, sondern auch meine Welt. Endlich kann ich all die äußeren Reize ausblenden, die mich sonst so oft in ihren Bann ziehen. Ich kann die Lautstärke des Alltags herunterfahren und bin einfach nur. Hier bei mir und der Natur. All das fühlt sich in meiner Vorstellung wie eine große Erleichterung an und ich merke auch jetzt beim Schreiben wieder, wie ich am liebsten sofort meine Siebensachen packen und mich auf den Weg machen würde.
Wenn die Sehnsucht zur Ausrede wird
Doch gleichzeitig weiß ich, dass ich schon so oft an diesem Punkt war und ich kann euch deshalb verraten: Bisher bin ich in diese schöne Berghütte nur in meinen Gedanken eingezogen. Und ich bin auch weder nach Santiago de Compostela gelaufen, noch habe ich ein ganzes Wochenende lang kein Wort gesagt. Denn insgeheim fühle ich, dass jetzt für mich noch nicht der richtige Zeitpunkt ist, um etwas davon in Angriff zu nehmen. Eigentlich brauche ich das auch gar nicht, denn in meinem Alltag habe ich zwischendurch immer mal wieder Phasen der Ruhe. Ich könnte die Stille also definitiv hier suchen und vor allem finden, wenn ich das wollte. Doch besonders, wenn sie so direkt vor meiner Nase auf mich wartet, fällt es mir verdammt schwer, sie anzunehmen und zuzulassen. Vom Genießen mal ganz zu schweigen. Denn in meinem Kopf ist dieser eine Gedanke, der sagt: Die totale Stille? Ach ja, die kann ich ja jetzt gar nicht finden, wie soll das hier denn gehen? Das ist nicht die richtige Stille. Dafür muss ich erst einmal weit weg von meinem Alltag und in einer Umgebung sein, die damit so wenig wie möglich zu tun hat. Aber nicht nur das, ich habe auch das Gefühl, dass ich so etwas wie einen offiziellen Rahmen für die Stille brauche. Es ist, als bräuchte ich eine feste Zeitspanne, in der ich sie suchen kann und vor allem darf, ohne dass ich dabei das Gefühl haben muss, mein sonstiges Leben zu vernachlässigen. Und ich weiß zwar, dass all diese vermeintlichen Voraussetzungen nur Ausreden sind, um die Ruhe im Alltag wieder weiter von mir wegzuschieben. Doch trotzdem schleichen sie sich immer wieder ein, ganz heimlich und ohne, dass ich es merke. So richtig bewusst geworden, ist mir das in der letzten Woche, als ich abends draußen auf der Terrasse gesessen habe und die Abendsonne noch etwas genießen wollte. Es war richtig angenehm draußen und trotzdem kam mir dabei wieder direkt der Gedanke, dass etwas fehlt und ich nicht bloß so dasitzen kann. Soll ich mir vielleicht noch eine Zeitschrift mit rausnehmen? Oder ein Buch? Ich könnte auch einen Podcast hören? Oder soll ich mir zumindest ein Eis holen? Ich war hibbelig und hatte den starken Drang, etwas zu tun. Aber irgendwie bin ich trotzdem einfach nur sitzengeblieben. Und genau damit hat dann mein ganz eigener, kleiner Bergsee-Moment hier in Bonn angefangen.
Fühlt sich das stimmig an?
Erst habe ich ihn gar nicht kommen sehen, denn er hat sich überhaupt nicht so angefühlt. In meiner Vorstellung wäre ein Bergsee-Moment nämlich ganz leicht und idyllisch, von vorne bis hinten. Ich könnte die Stille einfach genießen und darin aufblühen. Aber genau das ist auch der Knackpunkt: All das kann die Stille mir geben, nur um an diesen Punkt zu kommen, muss ich auch das nötige Durchhaltevermögen haben. Denn der Moment, in dem die Stille kommt, ist weder idyllisch, noch leicht, sondern meistens sogar ganz schön anstrengend. Die Gedanken, die werden erst einmal ein ganzes Stückchen lauter, wenn sie endlich den Raum haben, um gehört zu werden. Es ist ein bisschen so, als würde ich meine Füße im eiskalten Wasser des Sees abkühlen wollen. Dann würde ich meine Zehen wahrscheinlich direkt wieder reflexartig aus dem Wasser ziehen, weil es so kalt ist, dass ich denke, es auf keinen Fall aushalten zu können. Schaffe ich es aber, mich langsam heranzutasten und nicht direkt wegzulaufen, werde ich dafür auch belohnt. Denn nicht nur der See kann unheimlich erfrischend und angenehm sein: Wenn ich in der Ruhe bleibe, dann komme auch ich an den erholsamen Punkt der Stille, nach dem sich ein Teil von mir so sehnt. Dann fühle ich, dass sie genau die Leichtigkeit ist, die ich suche. Man sagt ja so schön „In der Ruhe liegt die Kraft“ und ich finde, das bringt es genau auf den Punkt. Denn ja, die Stille hat eine große Kraft, aber die hat sie eben nicht über mich, sondern die gibt sie mir. Durch sie kann ich wieder meiner inneren Stimme zuhören, die eigentlich die ganze Zeit schon die Antworten hat. Diese Stimme in mir weiß einfach, was für mich stimmig ist. Das kommt ganz tief aus mir und hat nichts mehr mit der Angst oder den kritischen Stimmen in meinem Kopf zu tun, die sich sonst alle möglichen Horror-Szenarien ausmalen können. Es ist auf einmal alles ganz klar, weil meine innere Stimme, die kann bei meinen Fragen bis auf den Grund sehen und lässt sich von nichts ablenken. Sie schafft es, dass sich das Leben auf einmal viel einfacher anfühlt und meine Welt kleiner wird. All die lauten Reize und Ablenkungen im Außen, die sich vorher ach so wichtig und groß angefühlt haben, sind auf einmal ganz weit weg und irgendwie unbedeutend. Denn ich merke, dass ich eigentlich auch gar nicht mehr brauche, als diese Klarheit. Und so war ich ganz bei mir, während ich einfach nur in die Gegend geschaut habe, ohne Plan und ohne Ziel. Ich habe den Vögeln zugehört und beobachtet, wie die ersten Fledermäuse ihre Runden drehen. Die Blätter von Gingko haben im Wind geweht, ganz sanft und ruhig. Mit dem leichten Wind ist dann auch der Geruch vom Grill der Nachbarn herübergezogen und es hat sich so richtig nach Sommer angefühlt. Und ich wusste, das ist richtig so, weil es genau das war, was meine Seele in dem Moment gebraucht hat.
Sehr schöner Artikel!!!
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