Nicks Herz zog sich zusammen, als sich die Forelle bewegte. Er fühlte all die guten Gefühle. Das Sich-Zusammenziehen des Herzens, ein kurzes Luftanhalten, eine Erstarrung, einen Moment des tiefen Glücks.
Aus dem Buch „Die Erfindung des Lebens“ von Hanns-Josef Ortheil
In den letzten Wochen bin ich mit dem Leben stehengeblieben – gezwungenermaßen. Der Alltag liegt auf einmal still für so viele von uns. Doch wenn ich ganz ehrlich bin, weiß ich, dass dieses Stehenblieben eigentlich genau das ist, was ich dringend gebraucht habe. Natürlich hätte ich es mir auf eine andere Weise gewünscht, die nicht verbunden ist mit all den Sorgen und Risiken. Nur hatte ich in dieser Zeit so oft das Gefühl, dauernd auf Auto-Pilot zu laufen und zu funktionieren. Ich wusste ganz klar: Ich muss etwas an meinem Alltag ändern, aber ich dachte, jetzt geht es noch nicht und ich muss einfach weitermachen. Weiter, immer weiter. Aber genau dieses noch ist der entscheidende Punkt. Es ist alles so wichtig und kann nicht warten. Bis Situationen wie die aktuelle Krise uns zeigen, dass all diese Dinge eben nicht so wichtig sind, wie wir sonst denken. Vor allem aber auch: Was sie mit uns machen und wie sie uns in ihren Sog ziehen können. Ich habe in den letzten Wochen nur noch auf den Moment hingearbeitet, in dem ich mehr Raum habe und meinen Alltag dann endlich so angepasst habe, dass er sich wieder gut anfühlt. Und was ist dadurch passiert? Ich war meistens gar nicht richtig da, weil ich mit dem Kopf schon ganz woanders war. Irgendwie habe ich mich abgestumpfter gefühlt, weil ich unbewusster als sonst durchs Leben gelaufen bin und die Zeit am liebsten vorspulen wollte. Ein gutes Beispiel dafür ist, wie ich in den letzten Wochen versucht habe zu meditieren. An sich hilft mir Meditation immer, um bei mir anzukommen. Wenn ich allerdings mal wieder auf Auto-Pilot laufe, ist es oft so, dass ich bloß meditieren möchte, um es von meiner To-Do-Liste abhaken zu können. Ich tue es, damit ich mein Gewissen beruhigen kann und weiß „Ich habe ja etwas für mich getan“. Ich möchte schon, dass ich danach ruhiger bin und mich mehr mit mir verbunden fühle. Doch gleichzeitig will ich eben auch, dass alles möglichst schnell und mühelos funktioniert, damit ich danach direkt weitermachen kann. Ich möchte gerne ans Ziel, aber den Weg dahin will ich nicht gehen. Und so mache ich mir damit selbst etwas vor. Denn das, was ich in solchen gehetzten Momenten brauchen würde, kriege ich nicht durch etwas, das ich beiläufig nebenher mache, nur um es gemacht zu haben.
Wobei kannst du die Zeit vergessen?
Das was ich in diesen Momenten eigentlich brauche, ist Präsenz. Ich brauche es, wirklich da zu sein und mich voll auf das was ist einzulassen. Denn dann fühle ich mich wieder ganz und vor allem aber verbunden – mit anderen Menschen, mit der Natur, mit dem Leben, aber eben auch mir selbst. Dazu ist mir wieder diese Stelle in einem Buch eingefallen, das ich vor einer Weile gelesen habe. Ich hatte sie mir extra markiert – so wie ich das immer mache bei Stellen, die ich besonders fühle. Der Autor hat hier so einfach und doch so gut das auf den Punkt gebracht, was ich selber schon so oft gefühlt habe: „Er fühlte all die guten Gefühle. Das Sich-Zusammenziehen des Herzens, ein kurzes Luftanhalten, eine Erstarrung, einen Moment des tiefen Glücks“. Genau so habe ich mich zum Beispiel vor ein paar Tagen gefühlt, als ich morgens aufgewacht bin. Ich habe direkt den Rollladen hoch gemacht und die Sonne hat mir entgegen geschienen. Dann habe ich wie immer das Fenster zum Lüften aufgemacht und es hat so toll nach Frühling gerochen – frisch und nach Neuanfang. Aber an diesem Morgen habe ich etwas anders gemacht, ich habe mich an mein Fenster gesetzt, einfach nur rausgeschaut und so tief es geht die Frühlingsluft eingeatmet. Und war dabei einfach glücklich: Über die Ruhe, weil draußen alles noch ein paar Gänge langsamer läuft und der Tag noch nicht richtig angefangen hat. Aber auch darüber wie leicht und unbeschwert in diesem Moment alles ist, weil ich jetzt einfach mal gar nichts muss, außer da zu sein und zu atmen. Egal wie turbulent und aufwühlend die Situation gerade eigentlich ist. Es hat sich wieder so angefühlt wie früher als Kind, wenn ich nach der Schule mit den anderen Kindern aus meiner Straße draußen gespielt habe. Wir hatten kein Zeitgefühl, und haben einfach das gemacht, wonach uns gerade war. Wenn wir dann abends die Kirchenglocken gehört haben, wussten wir: Jetzt gibt es Abendbrot und es ist Zeit reinzugehen. Das war der einzige Anhaltspunkt den wir hatten, denn für uns war nichts so wichtig, wie das, was wir gerade gemacht haben. Wir wollten einfach bloß da und zusammen sein. Und ich glaube, genau das ist es auch, was nicht nur ich, sondern so viele von uns mit der Zeit immer mehr verlernt haben: Sich komplett auf das einlassen, was man gerade tut und dabei nirgendwo anders sein zu wollen, als in diesem Moment.
Die hellen Tage
Im Moment steht mein Alltag still. Und gerade jetzt, wenn ich mehr Zeit zuhause und mit mir selbst verbringe, ist es umso wichtiger, dass ich mir gezielt solche Momente schaffe. Denn wenn ich nicht aufpasse, verliere ich mich schnell wieder in der Welt in meinem Handy und den Leben von anderen Menschen, die man dort den ganzen Tag lang beobachten kann. Und dann bin schon wieder mit dem Kopf ganz woanders – vielleicht nicht in der Zukunft, wie vor einer Weile noch, aber trotzdem auch nicht bei mir. Also ist es wichtig, mich immer wieder daran zu erinnern, wie gut diese Präsenz tut. Und das können ja schon kleine Dinge sein, die man sogar im Moment machen kann, weil man für sie nicht viel braucht. Ein Gespräch mit Menschen, mit denen ich mich verbunden fühle und die mir zeigen, dass ich nicht alleine bin, mit all meinen Gedanken und Gefühlen. Oder es kann manchmal auch einfach nur heißen, dass ich mein Handy nach dem Aufwachen erst mal noch für eine Stunde auslasse, mir ganz in Ruhe und mit viel Liebe mein Frühstück mache. Ganz ohne Anlass, einfach, weil ich mir etwas Gutes tun möchte. Vor einer Weile schon habe ich angefangen, mir eine Liste zu machen, auf der ich alle Tage aufschreibe, an denen ich mich so gefühlt habe. Das sind meine „hellen Tage“, die, an denen ich quasi von innen geleuchtet habe. Biolumineszenz heißt das bei Tieren wie Glühwürmchen, wenn sie im Dunkeln von sich aus leuchten können – und in solchen Momenten fühle ich mich so, als könnte ich das auch. Dann bekomme ich ein wohliges und warmes Gefühl, das mich beruhigt. Und nicht nur ich spüre das, sondern die Menschen in meinem Umfeld gleich mit. Also ist das nicht vielleicht etwas, das wir mitnehmen können aus dieser Zeit? Für das was kommt, aber auch für das Danach, wenn wir wieder im Auto-Pilot feststecken. Wenn wir alle immer wieder bewusst darauf achten, präsent zu sein und auf den verschiedensten Wegen, aus einem normalen, einen hellen Tag machen. Wenn wir alle für uns daran „arbeiten“, dann können wir nicht nur für uns, sondern für alle zusammen leuchten. Und gerade, wenn es draußen dunkel ist und viele von uns Angst und Sorgen haben: Können wir dann nicht sogar füreinander leuchten, damit keiner im Dunkeln sein muss?