The Pain, it will leave once it finished teaching you.
Unkown
Ich habe schon so oft davon erzählt, wie ich meine erste Panikattacke hatte. Wie ich während meines Auslandssemesters für einen Kurztrip nach Stockholm geflogen bin, nur um dort mitten am Tag in meinem Hostel-Bett zu liegen und endlich zu merken, dass meine Angst mittlerweile zu groß geworden ist, um alleine mit ihr klarzukommen. Inzwischen kann ich darüber sprechen, ohne einen Kloß im Hals zu bekommen und es ist zu einem Teil meiner Geschichte geworden. Es gehört zu mir, genau wie die Schulzeit oder mein Studium, denn ich weiß, dass diese Angst der Weckruf war, den ich damals so dringend gebraucht habe. Ich hatte mich selbst verloren und wusste nicht mehr, wer ich eigentlich bin. Ich musste erst einmal hinfallen, um wieder zu mir selbst zu finden und mich all meinen Schatten und Ängsten zu stellen. Durch diese Zeit habe ich so vieles gelernt und mich auf meinen ganz eigenen Weg gemacht. Deshalb liegt mir dieser Beitrag auch so sehr am Herzen und es ist mir wichtig, mit diesem Thema zu beginnen. Einmal, um mich selbst immer wieder daran zu erinnern, was mich diese Zeit gelehrt hat, wenn ich es im schnellen Alltag mal zwischenzeitlich vergesse. Aber auch um Mut zu machen und jedem, der es gerade braucht, zu zeigen: Du bist nicht alleine mit deinen Ängsten. Es fühlt sich immer noch merkwürdig an, meine Geschichte mit so vielen Menschen da draußen zu teilen, die ich nicht kenne. Doch ich weiß, wie wichtig es ist darüber zu sprechen und vor allem zu sensibilisieren. Wir gehen so oft durch die Welt und stecken andere Menschen in Schubladen, verurteilen sie, weil sie sich nicht „normal“ verhalten, nicht so wie wir es vielleicht von ihnen erwarten würden. Doch wir können nie wissen, wer gerade welche inneren Kämpfe austrägt, von denen wir nichts sehen können. Denn oft sind die schwersten Kämpfe für andere kaum wahrnehmbar.
Es gibt keine Abkürzung für Heilung
Genau so ist es auch mit Panikattacken: Sie sind nicht immer laut, nicht nur so wie man sie in Filmen sieht. Eine Person hyperventiliert, atmet schwer und sinkt am Ende vielleicht sogar in sich zusammen. Das kann alles sein, muss es aber nicht unbedingt. Panikattacken können auch leise sein. Mir hat man meist nicht einmal angemerkt, was da gerade in mir los war, denn nach Außen getragen habe ich davon kaum etwas. Merken konnten das vielleicht gerade mal diejenigen, die mich wirklich gut kennen. Dann hat man mir höchstens angesehen, dass ich nervös wurde. Ich bin mir oft mit den Fingern durch die Haare gefahren, habe wild herumgefuchtelt, andauernd die Beine übereinandergeschlagen, nur um irgendwie noch ein Gefühl von Kontrolle über die Situation herstellen zu können. Um durch die Berührungen und Bewegungen zu spüren, dass ich eben doch noch „da“ bin. Denn da war jedes Mal diese Angst, dass jetzt gleich etwas Schlimmes passieren wird. Dass ich die Kontrolle verliere, umkippe, oder wenn es mal wieder eine ganz schlimme Panikattacke war, auch die Angst jeden Moment zu streben. Immer wieder ging in mir etwas los, das sich wie ein Trieb angefühlt hat. Der Fight-or-Flight-Modus sozusagen. Ich hatte das Gefühl sofort weg zu müssen, raus und einfach nur fliehen. Wohin genau wusste ich gar nicht. Einfach nur weg aus der Situation, damit das Gefühl endlich aufhört. Es hat sich auf einmal alles so unwirklich angefühlt, so als wäre ich eine Astronautin, die die Welt durch ihren Schutzhelm wahrnimmt und ihn einfach nicht ausziehen kann. So als wäre alles um mich herum ein Film. Derealisation oder Depersonalisation würde man aus psychologischer Sicht wohl dazu sagen. Aber mir hat die Astronautin immer besser gefallen. Es war als wäre ich in dieser Glaskuppel gefangen und ich wusste sehr lange Zeit einfach nicht, wie ich aus ihr rauskommen soll.
Gefühle sind immer stärker als der Verstand
„Aber hilft es dir denn gar nicht, wenn ich bei dir bin?“ – das war eine Frage, die mir mit am häufigsten gestellt wurde. Nein. Leider gar nicht. Es war vollkommen egal, mit wem ich unterwegs war und wie nahe mir die Person gestanden hat. Ich wurde immer wieder auf mich selbst zurückgeworfen. Wie oft ich mir einfach nur jemanden gewünscht habe, der mir all das abnimmt und macht, dass das aufhört. Am Anfang habe ich gehofft, dass meine Therapeutin diese Person für mich sein könnte. Doch dass eben das der Knackpunkt ist und auch sie mir nur dabei helfen kann das zu heilen, wozu ich selbst bereit bin, musste ich erst einmal auf schmerzliche Art und Weise lernen. Denn die einzige Person, die mir wirklich helfen konnte, war und bin noch immer ich selbst. Natürlich wusste ich rational gesehen, dass nichts Schlimmes passieren wird, wenn ich jetzt in diesen Bus steige oder wenn ich im Restaurant sitzen bleibe. Schließlich habe ich all das schon so oft gemacht. Ich wusste es, aber geholfen hat es mir trotzdem nicht im Geringsten, weil es ich jedes Mal aufs Neue wieder genauso gefühlt habe. Doch das habe ich eben auch gebraucht, dass ich wieder ins Fühlen komme, denn normalerweise bin ich ein extremer Kopfmensch. Ich mache mir über alles und jeden Gedanken, habe es am liebsten wenn alles strukturiert und geplant ist. Gefühle sind deshalb schon immer das gewesen, was mir am meisten Angst gemacht hat, denn sie kann man nicht kontrollieren oder planen. Sie kommen und gehen in ihrem Tempo, aber ganz bestimmt nicht so wie ich es vielleicht gerne hätte. Und sie haben eine Macht, die gewaltig ist. Wahrscheinlich habe ich genau deshalb auch so lange versucht mich vor meinen Gefühlen zu drücken. Mich abzulenken – mit anderen Menschen, Unternehmungen, einer neuen Stadt, sogar einem neuen Land. Ich bin vor mir selbst weggelaufen, doch ein Wettrennen gegen sich selbst kann man nun mal nicht gewinnen. Und auch das musste ich durch die Panikattacken lernen. Sie haben mir gezeigt – oder besser gesagt mich spüren lassen – dass Gefühle immer stärker sind als der Verstand. Egal wie doll ich versuche dagegen anzukämpfen.
Keine Ablenkungsmanöver mehr
Durch die Panikattacken wurden mir mit der Zeit alle Möglichkeiten mich abzulenken genommen. Wie lange ich mich darüber aufgeregt habe und mit aller Kraft so weitermachen wollte wie zuvor. Ich wollte unbedingt auf den Weihnachtsmarkt, um dort direkt wieder mit dem Gefühl zu kämpfen, sofort weg zu müssen. Ich konnte nicht mehr in volle Geschäfte und Supermärkte, ins Kino gehen oder mit Bus und Bahn fahren. Wo ich mich wohl und vor allem sicher gefühlt habe, das habe ich unbewusst selber festgelegt. Und deshalb war das in dem Fall für eine Zeit lang nur in meinem Zimmer. Alleine. Mit mir, einer Tasse Tee und einem Buch. Back to basics quasi. Denn genau das war es was ich gebraucht habe: Zeit nur für mich. Alleine. Und ganz viel Ruhe, die ich mir sonst niemals genommen hätte. Denn wer unternimmt schon für eine Zeit lang einfach mal nichts und geht nicht raus? Das macht man nur, wenn man krank ist und nicht anders kann. Nur das war ich ja nicht. Zumindest nicht so wie ich es kannte. Und mir das einzugestehen hat mich sehr viel Überwindung gekostet, denn diese Art von Heilung kannte ich noch nicht. Mit der Zeit habe ich auch immer besser verstanden, warum ich mich so mit allen Mitteln gewehrt hatte: Dieser Weg der Heilung ist oft unschön und vor allem extrem schmerzhaft. Ich meine die Dinge, die dabei hochkommen, haben wir ja nicht ohne Grund die ganze Zeit schon weggedrückt. Heilung waren in meinem Fall deshalb viele Tränen (ich glaube ich habe noch nie so viel geweint wie in diesen Monaten), viel Verzweiflung und vor allem extrem viel Angst. Ich war förmlich aufgeweicht. All die Härte und Unnahbarkeit, die vorher da waren, sind auf einmal in das komplette Gegenteil umgeschlagen und ich habe mich wie ein Fluss gefühlt. Ich habe mich fallen gelassen. Bin tief gefallen, aber wurde dort auch aufgefangen. Von mir selbst. Ich war an meinem absoluten Tiefpunkt, um das zu realisieren. Um zu lernen, dass ich vertrauen kann – nicht nur in mich, sondern auch in das Leben.
Das Gras wächst nicht schneller wenn man dran zieht
Wichtig war für mich allerdings auch zu lernen, dass Heilung nicht geradlinig verläuft. Und vor allem auch nicht schnell. Sie ist ein Prozess, der Zeit braucht, was gerade für einen ungeduldigen Menschen wie mich nicht leicht war. Wenn ich etwas umsetzen möchte, dann muss es am besten jetzt in dieser Sekunde sofort geschehen. Dass ich erst einmal wieder mit Babyschritten anfangen musste, fiel mir extrem schwer. Das Gras wächst nicht schneller wenn man dran zieht. Dieses Sprichwort habe ich deshalb sehr gefühlt. Es war mein Mantra, das ich mir immer wieder verinnerlicht habe. Ich habe lernen müssen, mir Zeit zu geben. Und vor allem auch die Erlaubnis, dass ich nicht alles auf einmal können muss. Denn Heilung sind viele kleine Schritte vorwärts und manchmal auch wieder ein paar zurück. Sie passiert vor allem dann, wenn die Panik wieder mal langsam hochkommt und ich endlich merke, dass ich etwas anders mache. Dass mich meine Angst nicht mehr besitzt oder ich mich durch sie definieren lasse. Ich weiß, ich werde meinen Astronautenhelm immer bei mir haben. Ich werde ihn vielleicht nicht immer tragen, ihn auch mal für längere Zeit nur in der Hand halten oder sogar mal im Schrank zwischenlagern. Aber er wird immer irgendwie ein Teil von mir bleiben. Meine Angst ist mein wunder Punkt. Die Stelle, an der es weh tut, wenn ich zu lange nicht auf mich und mein Gefühl höre. Oder wenn ich zu lange meine Grenzen nicht achte, nur um es anderen Recht zu machen. Doch damit ist sie eben gleichzeitig auch mein Freund, der auf mich aufpasst, wenn ich es mal wieder vergesse.